Die Erfahrung hat wohl jeder schon mal gemacht: Wenn die Sonne scheint, sieht alles gleich viel freundlicher aus. Sonne tut Körper und Seele gut, verscheucht so manchen depressiven und angstvollen Gedanken. Sonnenlicht und Sonnenwärme auf der Haut, schon setzt ganz neue Lebensfreude ein, Urlaubsgefühle kommen auf, die Welt erscheint in einem verheißungsvolleren Licht. Zumal wenn reichlich Sonnenlicht auch gleich noch Menschheitsplagen wie Coronaviren und Tuberkelbakterien zum Rückzug zwingt. Wie aber schafft es die Haut mit Unterstützung der Sonne, so nachhaltig positiv auf Körper und Psyche einzuwirken? Was genau spielt sich da ab, dass unsere Hautzellen besser als jedes Psychopharmakon in die Lage versetzt, den Grauschleier vor unseren Augen wegzuziehen und Freude, positive Emotionen, gute Stimmung und Zuversicht zu verbreiten?
Sonnenlicht in Form von UVB-Strahlen auf der Haut ist die entscheidende Grundvoraussetzung für die Bildung von Vitamin D3 im Körper. Gegen ein „möglichst viel davon“ gäbe es in Sachen Vitamin D kaum etwas einzuwenden, wäre ein Zuviel davon nicht ein gravierender Risikofaktor für Faltenbildung, Hautalterung und Hautkrebs. UBV-Strahlung regt jedoch nicht nur die Bildung von Vitamin D3 an, sondern stimuliert in den Hautzellen auch die Produktion von Endorphinen, also körpereigenen „Wohlfühl-Hormonen“, die das angenehme Gefühl einer leichten Euphorie auslösen.
Sonne auf der Haut fördert nicht nur das Vitamin D
Forschungsarbeiten aus der Harvard-Universität in Boston (USA) zeigten schon 2007 an Zellkulturen und im Mausmodell, dass Hautzellen (Keratinozyten) unter dem Einfluss von UVB-Strahlung Endorphine, also chemisch dem Morphin und Heroin ähnliche Opiate, herstellen und nach Bindung an solche Rezeptoren im Gehirn Verhaltensweisen wie bei einer Opiatwirkung auslösen. Ganz aktuell fand diese Forschergruppe nun, dass Vitamin D3-Mangel ein ähnliches Abhängigkeits- und Suchtverhalten auslösen kann, wie es bei einem Opiatentzug auftritt. Wurde da also eine spannende Wechselbeziehung zwischen Haut, Sonne, Vitamin D, körpereigenen Opiat-Hormonen und Psyche aufgedeckt?
Evolutionär klug eingefädelt: Kopplung von UVB- und Endorphin-Drang
Untersuchungen an Menschen haben ganz ähnliches gezeigt: Der Drang, ein Sonnenbad nehmen zu müssen, in die Sonne und ans Meer reisen zu wollen oder ein Bräunungsstudio aufzusuchen, unterscheidet sich kaum vom Bemühen eines Opiatabhängigen, der sich Zugang zu „seinem Stoff“ verschaffen möchte. Die Forscher aus Boston vermuten im Drang nach Sonne bzw. UVB-Licht sogar ein evolutionäres Prinzip, wonach Tiere und Menschen zur Sicherstellung einer guten Vitamin D3-Versorgung – von einem unbewussten Endorphindrang getrieben – aus ihren Erdlöchern, Höhlen und Wohntürmen ans Licht und zur Sonne drängen. Möglicherweise hat die Schöpfung diesen Suchtmechanismus planvoll so eingerichtet, weil erfolgreiches Überleben („Angriff oder Flucht“, „Fressen oder gefressen werden“) ohne Vitamin D3 und seine lebensentscheidenden Wirkungen auf Knochen, Gelenke, Immunsystem, Herz & Gefäße nicht gelingt. Das Dilemma, eine gute Vitamin D3-Versorgung selbst bei Kälte im Winter und in nördlichen Regionen sicherstellen zu müssen, hat Mutter Natur elegant gelöst, indem sie den Vitamin D-Mangel an ein Suchtprinzip koppelte, dessen Lösung sie der Sonne und den dabei produzierten Hormonen Vitamin D3 und Endorphin überantworten konnte.
Sonne und Vitamin D3 wirken wie Stimmungsheber und Suchtblocker
Beim Vergleich zweier Mäusepopulationen (eine mit Vitamin D-Mangel und eine mit ausreichender Vitamin D-Versorgung) – nach Gewöhnung aller Mäuse an moderate Mengen an Opiaten – fielen den Forschern enorme Verhaltensunterschiede auf: Mäuse mit Vitamin D-Mangel zeigten im Unterschied zu gut mit Vitamin D versorgten Mäusen nämlich ein ausgeprägtes und anhaltendes Suchtverhalten nach Opiaten. Zudem wirkten Opiate bei der Schmerzlinderung deutlich besser, wenn ein ausgeprägter Vitamin D-Mangel bestand. Wurden die Vitamin D-Mangelmäuse hingegen ausreichend mit Vitamin D versorgt, schwächte sich deren Opiatsucht immer mehr ab und normalisierte sich schließlich.
Übertragen auf den Menschen könnte dies bedeuten, dass die Gabe von Opiaten zur Schmerzkontrolle nach einer Operation bei Patienten mit Vitamin D-Mangel zu einer stärkeren euphorisierenden Wirkung führt und damit das Suchtpotential steigt. In weiterführenden Untersuchungen an Patienten konnten die Forscher diese Effekte sogar quantifizieren: Patienten mit moderatem Vitamin D3-Mangel zeigten eine um 50% höhere- und solche mit ausgeprägtem Vitamin D-Mangel eine um 90 % höhere Wahrscheinlichkeit, Opiate anzuwenden. Wurden Opiatabhängige mit anderen (nicht Opiatabhängigen) Patientengruppen verglichen, war bei den Suchtpatienten ein Vitamin D-Mangel häufiger und ausgeprägter vorhanden. Während Vitamin D3-Mangel für die suchtfördernden Effekte von Opiaten empfänglicher macht, hemmt Vitamin D3 die einen Opiatdrang verstärkenden Mechanismen wie Belohnung, Abhängigkeit und Toleranz. Der Ausgleich eines Vitamin D-Mangels durch Substitution von Vitamin D3 bietet sich somit als grundlegendes Sucht-hemmendes und Abhängigkeit-minderndes Wirkprinzip förmlich an.
Das Beheben eines Vitamin D-Mangels durch maßvolles Sonnenbaden und Zufuhr in Kapsel- oder Tropfenform (2000-4000 IE/Tag) erweist sich also erneut als eine der wichtigsten persönlichen Maßnahmen zur Erhaltung der körperlichen und psychischen Gesundheit. Im Licht der neuen Erkenntnisse sollte Vitamin D3 auch Einzug in das Behandlungsarsenal von Psychiatern, Suchttherapeuten und Entzugskliniken halten. Und das nicht nur beim Thema Opiate, sondern auch bei Suchtstoffen wie Zucker, Alkohol und Nikotin.