Mit steigendem Lebensalter wandert der Kalk aus den Knochen in die Gefäße: Diese Beobachtung machen aufmerksame Radiologen, wenn sie die Lungenröntgenbilder von Frauen nach der Menopause und älteren Männern betrachten. Doch was ist der Grund?
Während die Wirbelkörper immer fahler und ausgedünnter erscheinen (Osteopenie, Osteoporose), bildet sich die ansonsten unsichtbare Herzkranzgefäße und die Hauptschlagader durch Kalkeinlagerungen (Atherosklerose) immer deutlicher ab und die Aorta erscheint – mitunter vollverkalkt – wie eine zweite Wirbelsäule. Auffällig auch die rasch fortschreitende Knochenentkalkung einhergehend mit galoppierender Gefäßverkalkung bei Dialysepatienten, aber auch bei Menschen, die zur Blutverdünnung den Vitamin K-Gegenspieler Marcumar einnehmen müssen. Ein verbindendes Element dieser mysteriösen Zusammenhänge dürfte Vitamin K darstellen, dessen schützende Wirkungen im Mangelzustand verloren gehen.
Vitamin K stärkt die Knochen und schützt die Gefäße
Das fettlösliche Vitamin K existiert in zwei natürlichen Hauptvarianten (Vitamin K1 = Phyllochinon und Vitamin K2 = Menaquinon mit den Subklassen MK4-MK10), ferner Vitamin K3 = Menadion als synthetische Variante. Die Wirkung von Vitamin K entfaltet sich über mindestens 17 Eiweißverbindungen in Leber, Knochen, Herz und Blutgefäßen, die allesamt unter seiner regulierenden Kontrolle (via Carboxylierung) stehen. Grob unterscheidet man dabei die in der Leber gebildeten, Vitamin K-abhängigen (diverse Gerinnungsfaktoren) von den außerhalb der Leber gebildeten Eiweißen. Zu letzteren zählen als prominenteste Vertreter das carboxylierte Osteokalzin, das für die Kalziumeinlagerung und damit für Stabilität der Knochen sorgt, und das carboxylierte Matrix-Gla-Protein, das die Blutgefäße vor Entzündung und Verkalkung schützt. Vitamin K bewirkt als wesentlichen biochemischen Schritt die Carboxylierung dieser Eiweiße und setzt damit deren vielfältige Wirkungen erst in Gang: ohne ausreichend Vitamin K entsteht zu wenig Carboxylierung, und ohne ausreichende Carboxylierung gibt es keine genügende Wirkfähigkeit dieser Eiweiße. Im Endergebnis also: ohne Vitamin K keine belastbaren Knochen, kein leistungsfähiges Herz und keine gesunden Gefäße. Und damit nicht genug: Vitamin K beeinflusst auch den Stoffwechsel über eine Steigerung der Insulinwirkung, drosselt als Wachstumsbremse das Voranschreiten von Tumoren, hält schädliche Gewebsverkalkungen im ganzen Körper in Schach und fördert die männliche Zeugungsfähigkeit. Darüber hinaus gibt es Hinweis auf positive Beeinflussung von Denkvermögen, Muskel- und Gelenkprobleme sowie allgemeine Gebrechlichkeit im höheren Alter. Ganz neue Studiendaten legen nahe, dass Vitamin K-Mangel bei schwer erkrankten Covid-19-Patienten auch das Auftreten von Thrombosen und das Aufkommen eines Entzündungstsunamis fördert.
Vitamin K-Mangel: Vorsorge nützt allen, Risikopatienten besonders
Vitamin K-Mangel entsteht immer dann, wenn zu wenig Vitamin K über die Nahrung zugeführt oder die Aufnahme von Vitamin K über den Darm behindert ist. Die jüngste Risikogruppe für Vitamin K-Mangel sind Neugeborene, deren Leber noch unreif ist und bei denen ungenügende Vitamin K-Zufuhr über die Nabelschnur oder die Mutterbrust Blutungen hervorrufen kann, sodass frühzeitig sicherheitshalber Vitamin K zugeführt wird. Danach freilich, über das Erwachsenenalter hinweg und insbesondere bei mangelernährten Senioren gerät das Thema Vitamin K-Mangel aus dem Blickfeld. Vitamin K-Mangelkandidaten sind alle Menschen mit geringer Vorliebe für Vegetarisches, insbesondere grünes Blattgemüse, Pflanzenöle, Eier, Huhn oder fermentierte Sojaprodukte. Zu den Risikogruppen zählen neben Heimbewohnern auch Patienten mit entzündlichen Darmerkrankungen, Störungen im Bereich Leber-Gallenwege-Bauchspeicheldrüse, Malabsorption, chronischen Durchfällen, nach bariatrischen Operationen, Patienten mit Kurzdarm sowie Dialysepatienten. Da Vitamin K2 von Mikroorganismen (Anaerobier) in den unteren Darmabschnitten gebildet wird, können auch scheinbar Gesunde mit gestörter Darmflora oder bakterieller Überwucherung leicht ins Vitamin K-Defizit rutschen. Nicht zu vergessen zahlreiche Medikamente (Antibiotika wie Cephalosporine, Tuberkolosemittel wie Isoniazid und Rifampicin, Antiepileptika wie Carbamazepin, Phenytoin, Barbiturate), die direkt oder indirekt den Bestand an Vitamin K kritisch verknappen können.
Vitamin K-Substitution: Beachtliche Studienergebnisse
Wissenschaftlich hochwertige Daten zur Vitamin K-Substitution liegen in enormer Fülle und Bandbreite vor. So zeigte sich in einem randomisierten, Placebo-kontrollierten doppelblinden Studienformat bei 440 postmenopausalen Frauen unter Zufuhr von Vitamin K1 (5 mg/Tag) ein Rückgang klinischer Frakturen um über 50 % gegenüber Placebos. Eine große Metaanalyse ergab unter Zufuhr von Vitamin K2 (45 mg/Tag) eine signifikante Abnahme von Hüftfrakturen (um 77 %), Wirbelkörperfrakturen (um 60 %) und Frakturen außerhalb der Wirbelsäule (um 81 %). Gleich mehrere Studien dokumentieren übereinstimmend die verzögernde oder abschwächende Wirkung von Vitamin K1 auf Verkalkungen im Bereich der Herzkranzgefäße, Gehirngefäße, der peripheren Gefäße sowie der Hauptschlagader. Hierbei zeigten sich sogar signifikante günstige Effekte auf die Erkrankungshäufigkeit und Mortalität an koronarer Herzkrankheit sowie auf die Gesamtmortalität. Mehrere randomisierte Studien konnten zudem für Vitamin K2 (45 bzw. 90 mg/Tag) eine deutlich bessere Überlebenswahrscheinlichkeit bei Patienten mit Leberkrebs feststellen. Weitere Studien dokumentieren eine Verbesserung der Insulinwirksamkeit bei Übergewicht und Diabetes, sowie eine Stabilisierung der Blutgerinnung und andere günstige Effekte sogar bei Patienten, die mit dem Blutverdünner Marcumar behandelt werden.
Wie lässt sich eine gute Vitamin K-Versorgung sicherstellen?
Vitamin K1 kann über eine gemüsereiche Ernährung mit Betonung auf grünen Blattgemüsen und Kreuzblütlern (Spinat, Brokkoli, Kohl) zugeführt werden. Gute Lieferanten für Vitamin K2 sind Hühnchen, Eigelb, Pflanzen- und Olivenöle sowie fermentierter Soja (Natto). Vitamin K2 entsteht auch im Darm, produziert von einer balancierten Flora aus Darmbakterien, was sich probiotisch unterstützen lässt. Um eine vollständige Carboxylierung aller wichtigen Vitamin K-abhängigen Eiweiße zu gewährleisten, insbesondere bei Vorliegen der o.g. Risikokonstellationen, empfiehlt sich jedoch eine kombinierte Zufuhr von Vitamin K1 (mindestens 120 mcg/Tag präventiv, ggf. 1-5 mg/Tag therapeutisch) und Vitamin K2 (200-1000 mcg/Tag präventiv) ggf. auch mit den besonders aktiven Metaboliten MK-4 und/oder MK-7 (z.B. 200 mcg/Tag präventiv), Unter einer längerfristigen höher dosierten Zufuhr von 25-OH-Vitamin D3 (4000 IE/Tag und höher) ist es ebenfalls ratsam, zusätzlich Vitamin K in Kombination zuzuführen. Und zwar nicht nur um die vielfältigen günstigen Vitamin D- Wirkungen zu verstärken, sondern auch, um seltenen Nebenwirkungen wie beispielsweise Organ- oder Gewebsverkalkungen vorzubeugen.
Wer lebensbegleitend oder spätestens ab der Lebensmitte auf stabile Knochen, elastische Blutgefäße, ein flüssiges Denkvermögen, gute Stoffwechselfunktionen, Entzündungskontrolle und Krebsvorbeugung wert legt und der Studiendatenlage Beachtung schenkt, könnte mit der Zufuhr von Vitamin K über einen wertvollen Hebel für die Gesunderhaltung verfügen. Marcumar- und Dialysepatienten sind hiervon übrigens nicht ausgeschlossen, sollten dies jedoch zuvor mit dem Arzt ihres Vertrauens besprechen.