Ich höre immer wieder, dass Kinderärzte auf die Frage von besorgten Eltern, ob ihre Kinder ausreichend mit Nährstoffen versorgt sind, antworten würden, dass es in Deutschland keine Nährstoffunterversorgung gibt. Weil Kinderärzte wichtige Meinungsbildner rund um die Entwicklung der Kinder sind, sollten sie sie sich vor unüberlegten oder falschen Aussagen zur Nährstoffversorgung von Kindern hüten und sich an kompetenter Stelle über die tatsächliche Lage informieren.
Dazu möchte ich besonders zwei Themen ansprechen: Erstens die Qualität der Kinderernährung im Allgemeinen und zweitens die Versorgung mit einzelnen Mikronährstoffen im Besonderen.
Zur Qualität der Kinderernährung ist leider zu sagen, dass sich viele Kinder zu einseitig ernähren und im Durchschnitt zu wenig Gemüse, Obst und andere nützliche Lebensmittel essen. Laut Kiggs- und EsKiMo-Studie liegt die durchschnittliche Zufuhr von Gemüse und Obst bei den 3- bis 17-Jährigen „weit unterhalb der Empfehlung“. Zudem wird in allen Altersgruppen zu wenig Fisch gegessen. Laut Donald-Studie mit Teilnehmern von 4-18 Jahren bleibt der Verzehr von Gemüse, Obst und Fisch in allen Altersgruppen um mehr als 50 % unter den Empfehlungen.
Laut Aid-Infodienst 2014 essen auch Kleinkinder zu wenig mikronährstoffhaltige Lebensmittel wie Gemüse und Obst. In der VELS- und der Greta-Studie erreichen die 1-3-jährigen Teilnehmer die Empfehlungen für die Zufuhr von Gemüse und Obst auch nicht.
Zum Thema Versorgung mit einzelnen Mikronährstoffen beschreiben Kiggs-, EsKiMo-, Donald- und VELS-Studie, dass bei Kindern die Versorgung vor allem mit Vitamin D, Vitamin E, Folsäure, Eisen, Calcium, Jod, mehrfach ungesättigten Fettsäuren und Ballaststoffen nicht gesichert ist. Und auch die DGE schreibt in ihrem Ernährungsbericht 2004, dass vor allem jüngere Menschen die Zufuhr an Vitaminen und Mineralstoffen steigern sollten.
Im Österreichischen Ernährungsbericht von 2012 wurden die DACH-Referenzwerte, die für gesunde Kinder ohne Risiken gelten und eine Mangelversorgung verhindern sollen, bei folgenden der untersuchten Stoffe in der Altersgruppe der Kinder von 7-14 Jahren nicht erreicht:
- Vitamin D, Pantothensäure, Folsäure, Calcium, Eisen und Jod bei allen Kindern
- EPA und DHA bei allen 7-12-Jährigen
- Vitamin A und Beta-Carotin bei allen 10-14-Jährigen
- Vitamin E bei 10-14-jährigen Mädchen und allen Jungen
- Vitamin B1 bei allen 13-14-Jährigen
- Vitamin B6 bei allen 10-14-Jährigen
- Vitamin C bei 10-14-jährigen Mädchen und 13-14-jährigen Jungen
- Kalium bei 13-14-jährigen Mädchen
- Magnesium bei 10-12-jährigen Mädchen und 13-14-jährigen Jungen
Außerdem lagen 44,4 % der Mädchen und 38,5 % der Jungen bei Selen sowie 15 % der weiblichen und 20 % der männlichen Schulkinder bei Zink unter dem Referenzbereich. Diese ungünstige und vielleicht auch unerwartete Situation wird natürlich auf lange Sicht zur Folge haben, dass nicht alle essentiellen Nährstoffe in optimaler Menge und Kombination zugeführt werden, was zu Störungen der Entwicklung der Kinder und zu Krankheiten führen kann.
Abschließend sei noch ergänzend hinzugefügt, dass laut Daten der deutschen nationalen Verzehrstudie II auch Schwangere nicht optimal mit Mikronährstoffen versorgt sind. Demnach leiden mehr als 50 % der Schwangeren an Defiziten bei ungesättigten Fettsäuren, Folsäure, Vitamin D, Eisen und Jod sowie 30-50 % an Defiziten von Vitamin C, E B1 und Calcium. Dies wirkt sich bereits in der Placenta negativ auf die Entwicklung des Kindes vor der Geburt und dann auf Gesundheitsrisiken im gesamten späteren Leben aus.
Aus meiner Erfahrung besteht also beim Thema Ernährungsqualität und Versorgung mit Mikronährstoffen ein hoher – offensichtlich derzeit nicht genügend umgesetzter – Bedarf an Beratung und Engagement der Kinderärzte und Gynäkologen für die Motivation von Eltern und Kindern für eine bessere Versorgung mit Nährstoffen.
Zudem sollten wir Ärzte vorsichtig sein mit der Aussage, dass es keine Nährstoffdefizite im deutschsprachigen Raum gäbe.
Ihr Udo Böhm