„Gegen diese Autoimmunerkrankung kann man nichts machen, die Schilddrüse geht eben kaputt und dann heißt es lebenslang Schilddrüsenhormon einnehmen“, so oder so ähnlich lautet auch heute noch allzu oft die gängige Vorstellung in Lehrbüchern und selbst manche Fachärzte denken so über die Hashimoto-Thyreoiditis. Doch die Realität sieht heute – den Erkenntnissen der letzten Jahre sei Dank – ganz anders aus.
Hashimoto ist keineswegs eine schicksalhafte Erkrankung, die Betroffene wehrlos hinnehmen müssen. Möglichkeiten der wirksamen Einflussnahme gibt es genug, von der Ernährung und Lebensführung über die gezielte Modulation des Immunsystems durch Vitamine, Spurenelemente, Antioxidantien und Fettsäuren bis hin zur bewussten Steuerung der Bakterienflora im Darm. Und je früher, desto besser und erfolgreicher.
Das richtige Eiweiß rein, die falschen Kohlehydrate raus
Tierisches Eiweiß und seine verdaulichen Bestandteile, aber auch Milchzucker (Laktose) und Gluten-haltige Nahrungsmittel fordern das Immunsystem heraus und können zu autoaggressiven Überreaktionen beitragen, insbesondere wenn bereits kleine Lecks im Darm z.B. im Rahmen einer bakteriellen Fehlbesiedelung des Darms oder eines „Leaky-Gut-Syndroms“ vorliegen. Studien zeigten bei über 75 % der Patienten mit Hashimoto-Thyreoiditis eine Laktose-Unverträglichkeit sowie eine im Vergleich zur gesunden Bevölkerung10-fach höhere Belastung durch Gluten-/Gliadin-Unverträglichkeit/Zöliakie. Für Patienten mit Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse und anderer Organe empfiehlt es sich daher, insbesondere Kuhmilchprodukte, Gluten-haltige Lebensmittel, fette Wurstwaren und Billig-Geflügel zugunsten von weniger allergener, möglichst laktosefreier Schaf- und Ziegenmilch, Gluten-freien Lebensmitteln und pflanzlichen Eiweißquellen (Bohnen, Erbsen, Pilze, Karotten, Spinat, Paprika, Aprikosen) auszutauschen und bei tierischem Eiweiß auf wenig belasteten, freilebenden Meeresfisch (Sardinen, Hering, Wildlachs), Wild und Bio-Fleisch zu setzen. Industriell verarbeitete Nahrungsmittel mit starkem Gehalt bzw. Zusatz von Zucker oder Fruktose, gesättigten Fetten und Transfetten, verarbeitungsbedingter Verzuckerung („AGE-P“, advanced glycosylation end products) sowie ungünstige Zubereitungsformen (Frittieren, Grillen, Bräunen) sind zu vermeiden, da sie entzündungsfördernd wirken und das Immunsystem destabilisieren können. Rasch verdauliche Kohlehydrate, die eine starke Insulinreaktion hervorrufen, sollten durch komplexe Kohlehydrate (Gluten-arme/freie Vollkornprodukte, Bohnen, Erbsen) und pflanzliche Nahrungsmittel mit hohem Faser- und Ballaststoffanteil (Kohlgemüse, Brokkoli, Kürbis, Keimlinge, Leinsamen, Früchte) ersetzt werden, die bei der Verdauung wenig Insulin ausschütten und zudem das Mikrobiom im Darm fördern. Die tägliche Flüssigkeitszufuhr sollte mit 2-3 Litern üppig, die tägliche Salzzufuhr mit 3-5 Gramm moderat bemessen werden (zu viel und zu wenig Salz wirkt sich bei Autoimmunerkrankungen ungünstig aus). Bei Speiseölen sind hochwertige, kalt-gepresste Lein-, Raps- und Olivenöle zu bevorzugen.
Mikrobiom und Hashimoto-Thyreoditis
Ein gesundes Mikrobiom ist Grundlage eines balancierten, stabilen Immunsystems, mit Reaktionsschnelligkeit und Schlagkraft gegenüber eindringenden Mikroorganismen und Tumorzellen, aber genügend Toleranz gegenüber körpereigenen Strukturen und unterschwelligen Reizen. Bakterielle Fehlbesiedelungen im Darm (Dysbiosen, Mikrobiomstörungen) finden sich – sofern man nur genauer nach ihnen sucht – bei sehr vielen Patienten mit autoimmunen Schilddrüsenerkrankungen (v.a. bei Hashimoto-Thyreoiditis und Morbus Basedow), aber auch bei Schilddrüsenkrebs.
Doch damit nicht genug: unser Mikrobiom beeinflusst auch die Verfügbarkeit wichtiger Mikronährstoffe und Vitamine wie Selen, Zink, Vitamin D, Eisen und Kupfer, die bei Patienten mit autoimmunen Schilddrüsenerkrankungen aufgrund des erhöhten Bedarfs typischerweise im Mangelbereich angesiedelt sind. Zumal auch deren Aufnahmefähigkeit über den Darm aufgrund der Mikrobiomstörung, der resultierenden Barrierestörung im Darm („leaky gut“), der häufig vergesellschafteten Darmprobleme wie Zöliakie und Weizen-Unverträglichkeit oder aufgrund vorausgehender Operationen (bariatrische Operationen, Gallenblasen- und Dünndarmoperationen) gestört ist.
Empfehlenswert ist deshalb bei Patienten mit Hashimoto-Thyreoiditis die Durchführung einer Mikrobiom-Analyse aus dem Stuhl, auch wenn keine typischen Darmbeschwerden vorliegen. Der Nachweis einer relevanten Mikrobiomstörung schafft die Voraussetzung für eine Ernährungsumstellung, für den Einsatz von Präbiotika (Ballaststoffe wie Haferflocken und Leinsamen, fermentierte Lebensmittel wie Natursauerkraut, Kefir, Joghurt), für die gezielte Zufuhr von Probiotika (Bakterienkulturen mit Laktobazillen und Bifidobakterien) und weiteren Maßnahmen (Zufuhr der Aminosäure Glutamin), um so auf die gestörte immunologische Balance Einfluss zu nehmen und ein labiles oder „gekipptes“ Immunsystem wieder zu stabilisieren. Dies ist insbesondere in der Frühphase einer Hashimoto-Thyreoiditis sinnvoll, wenn bereits eine ausgeprägte entzündliche und immunologische Fehlregulation vorliegt, die Schilddrüsenzerstörung aber noch nicht weiter fortgeschritten und somit reversibel ist (z.B. bei der Konstellation: hohe TPO-Antikörper, jedoch noch normales oder nur leicht erhöhtes TSH).
Es gilt Schwermetalle, Toxine und „Hormonelle Zerstörer“ zu meiden
Schwermetalle wie Blei, Arsen und Quecksilber, industrielle Toxine wie Dioxine und Pestizide, zahllose Medikamente und hormonähnliche Substanzen, die Signalwege behindern oder zerstören („endocrine disruptors“ wie Bisphenole und Phthalate) können das Immunsystem nachhaltig schädigen und seine Balance und Regulationskräfte stören. Personen mit erhöhtem familiärem Risiko oder bereits etablierten Autoimmunerkrankungen sollten besonders darauf achten, durch ihr Essverhalten und ihre Alltagsgewohnheiten möglichst wenig in Kontakt mit derartigen Schadstoffen zu geraten. Neben einer bewussten Bio-Ernährung könnte ein wichtiger Schritt in diese Richtung sein, möglichst vollständig auf Chemikalien und Plastik in jeder Form zu verzichten, von der Getränkeflasche über verpackte Lebensmittel bis hin zu vielerlei Gegenständen und Gerätschaften im Haushalt (v.a. Küche, Bad, Wohnzimmer, Schlafräume, Kinderzimmer, Garage).
Erhöhter Bedarf an Vitaminen, Spurenelementen, Mineralstoffen und Antioxidantien
Unter der Vielzahl an Vitalstoffen spielen die Spurenelemente Selen und Zink, das Hormon Vitamin D3 und der Mineralstoff Magnesium eine besondere Rolle bei entzündlichen und autoimmunen Erkrankungen, speziell bei Autoimmunthyreoiditiden. Grund hierfür sind deren günstig zusammenwirkende immunregulatorische, antioxidative und entzündungshemmende Eigenschaften. Da es – insbesondere bei erhöhtem Bedarf – schwierig ist, die Versorgung des Körpers mit genügend Selen, Zink und Vitamin D3 nur aus der Nahrung sicherzustellen, empfiehlt sich für Patienten mit Hashimoto-Thyreoiditis und Morbus Basedow sowie bei familiärer Häufung von Autoimmunerkrankungen eine gezielte Substitution (z.B. täglich 200-300 mcg Selen, 20-30 mg Zink, 2000-4000 IE 25-OH-Vitamin D3, 200-400 mg Magnesium).
Ein Eisenmangel sollte ebenso wie eine Eisenüberladung vermieden werden (Ziel: Ferritin zwischen 100 und 200 mcg/L), weil sonst Störungen der Schilddrüsenfunktion sowie der immunologischen Regulation auftreten können. Eisenmangelzustände sind häufig bei einseitiger oder vegetarischer Ernährung, bei jüngeren Frauen aufgrund andauernder Bluteisenverluste infolge der Menstruationsblutungen, aber auch bei Resorptionsstörungen wie beispielweise bei den häufig mit Hashimoto-Thyreoiditis verknüpften Autoimmunerkrankungen des Magens (Autoimmungastritis) und des Dünndarms (auf Gluten-haltige Nahrungsmittel; Zöliakie). Chronische Entzündungen und Fettleber bei metabolischem Syndrom bzw. Diabetes führen dagegen häufig zur Eisenüberladung oder behindern die Eisenverwertung.
Omega-3-Fettsäuren: Kaum beachtet trotz umfangreicher Datenlage
Omega-3-Fettsäuren wirken dem oxidativen Stress im Schilddrüsengewebe durch Steigerung der antioxidativen Kapazität entgegen und hemmen entzündungsfördernde Botenstoffe wie Interleukin-1-beta und Tumor-Nekrosefaktor-alpha, aber auch Arachidonsäure, Prostaglandine, Leukotriene und Thromboxane. Darüber hinaus vermitteln Omega-3-Fettsäuren entzündungshemmende und gewebeschützende Effekte über spezielle Signalstoffe (sog. Resolvine, Protectine und Maresine). Stehen vermehrt Omega-3-Fettsäuren für den Einbau in die Membranen von Schilddrüsenzellen zur Verfügung, verbessern sich nicht nur die Membraneigenschaften (erleichterter Durchtritt von Ionen, Nähr- und Signalstoffen, bessere Biegsamkeit und Beweglichkeit), sondern es sinkt auch die Anfälligkeit der Zellhüllen für oxidative Schäden und damit die Tendenz von Immunzellen, in autoaggressiver Weise beschädigte körpereigene Zellen zu attackieren. Dass diese Effekte nicht nur theoretisch und in Zellkulturen eintreten, sondern auch bei Patienten wirksam werden, konnte erst jüngst beobachtet werden: Bei Schwangeren kam es deutlich seltener zum Auftreten einer Schilddrüsenautoimmunerkrankung nach Schwangerschaft (Postpartum-Thyreoiditis), wenn in der Schwangerschaft reichlich fetter Meeresfisch (reich an mehrfach ungesättigten Omega-3-Fettsäuren) statt Schwertfisch (weniger Omega-3-Fettsäuren, mehr Toxine und Schwermetalle) konsumiert wurde. Ähnliche entzündungshemmende und immunregulierende Effekte wurden bereits bei einigen Autoimmunerkrankungen beobachtet, u.a. bei rheumatoider Arthritis, bei multipler Sklerose sowie bei autoimmunen Darmerkrankungen (Colitis ulcerosa, Morbus Crohn). Auch Patienten mit Autoimmunerkrankungen wie Hashimoto-Thyreoiditis ist daher zu raten, täglich 2-3 Gramm hochwertige Omega-3-Fettsäuren aus möglichst unbelasteten Quellen (zertifizierte natürliche Omega-3-Konzentrate, Krill-Öl, Meeresfisch aus Wildfang (Alaska, Grönland, Nordatlantik); Leinöl, Rapsöl und Leinsamen aus biologischem Anbau, Wild, Bio-Fleisch von Weidetieren) zu konsumieren.