Nicht nur unter Fachleuten in der Medizin, auch in der Bevölkerung hat sich herumgesprochen, dass eine gesunde Darmflora die Grundvoraussetzung für einen gesunden Darm und damit auch für Wohlbefinden und Vitalität ist.
Vor wenigen Jahren noch kaum bekannt und unerforscht, befasst sich heute die Jahrestagung so ziemlich jeder Fachgesellschaft, die etwas auf sich hält, mit dem Mikrobiom. Ausgehend vom Darm gibt es heute kaum ein spezielles mikrobielles Milieu, das nicht bis in Detail analysiert und als Voraussetzung für ein harmonisches Funktionieren angesehen wird. Das Mikrobiom der Haut, der Augen, der Nase, des Innenohrs, ja selbst der Blase fasziniert mittlerweile Grundlagenforscher wie ärztliche Spezialisten. Je vielfältiger, desto besser, lautet dabei die Basisregel. Wie aber sorgt man für ein möglichst breit angelegtes, gut ausbalanciertes Mikrobiom?
Nicht nur hochspezialisierte Fachärzte, auch immer mehr Hausärzte sind heute überzeugt, dass die Beurteilung und Optimierung des Mikrobioms bei ihren Patienten eindrucksvolle Verbesserungen und Heilungen hervorbringen kann, wo zuvor oft nur frustrierende Behandlungsfehlschläge zu verzeichnen waren. Und das nicht nur bei entzündlichen Erkrankungen des Darms (Colitiden), sondern auch bei Gesundheitsstörungen, die sich fernab des Darmes abspielen. Beispielsweise bei Entzündungen von Sehnen, Faszien und Gelenkkapseln, bei Asthma bronchiale und bei allergischen Hauterkrankungen wie der atopischen Dermatitis. Doch damit nicht genug: Auch bei hartnäckigen Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse, des Zentralnervensystems und der Augen gibt es immer mehr überzeugende Fallberichte, die eine erfolgreiche Behandlung einer Darmfehlbesiedelung (Dysbiose) und eine nachhaltige Stabilisierung des bakteriellen Darmmilieus mit eindrucksvollen Therapieerfolgen in Verbindung bringen.
Müdigkeit, Erschöpfung und Depression: Wer denkt schon an den Darm?
Auch bei schwer fassbaren Beschwerden wie Müdigkeit, Erschöpfungszuständen ohne erkennbare Ursache, Infektneigung, Stimmungslabilität und Depression kann es sich lohnen, eine genauere Diagnostik bezüglich Darmdysbiose zu veranlassen, selbst wenn keinerlei Symptome oder Beschwerden auf eine Darmproblematik hinweisen. „Darm – das unterschätzte Organ“ lautet nicht ohne Grund ein Ordnungsgedanke der funktionellen Medizin. Schließlich werden im Darm ein Großteil des Gehirnbotenstoffes Serotonin und weitere Neurotransmitter gebildet. Zudem beherbergt der Darm eines der größten Immunsysteme des Körpers und wird bei durchlässiger Darmbarriere („leaky gut“) häufig zum Ausgangspunkt generalisierter entzündlicher Reaktionen und komplexer Nahrungsmittel-unverträglichkeiten. Werden der Darm und seine bakterielle Fehlbesiedelung nicht als Ursache solcher Beschwerden erkannt, gelingt bestenfalls eine kurzfristige symptomatische Therapie, jedoch keine nachhaltige Beschwerdebesserung oder dauerhafte Heilung.
Hundertjährige haben auch ihr spezielles Mikrobiom
Seit besonders langlebige und bis ins hohe Alter gesund gebliebene Menschen heute als gefragte Kandidaten für die Langlebigkeitsforschung dienen, verwundert es nicht, dass Forscher längst dabei sind, auch die Zusammensetzung der Darmflora von Hundertjährigen zu entschlüsseln. Mittlerweile ist bekannt, dass das Mikrobiom von Centenarien ungewöhnlich breit gefächert („divers“), ausgeglichen und stabil ist. Bakterienstämme, die besonders reichlich gesundheitsfördernde kurzkettige Fettsäuren produzieren, sind dabei enorm überrepräsentiert. Deshalb spekulieren die Wissenschaftler bereits, dass genau diese Fettsäuren eine wichtige Funktion nicht nur bei der Ernährung der Darmzellen, sondern auch bei der Aufrechterhaltung einer intakten Darmschleimhaut als wirksame Barriere gegen die Darmwand durchdringende, gefährliche Bakterien haben könnten. Vor aus dem Darm aufsteigenden Infektionen und Entzündungen wären Menschen mit einem artenreichen, gut balancierten Mikrobiom demnach auch bis ins hohe Alter besser geschützt.
Kennen Sie die besten probiotischen Lebensmittel?
Auf das Mikrobiom im Darm lässt sich nach heutigem Kenntnisstand durch eine kluge Auswahl oder strategische Zugabe von Nahrungsmitteln eindeutig positiv Einfluss nehmen. So gelten durch Milchsäure-bildende Bakterien (Lactobakterien) fermentierte Lebensmittel, insbesondere Milchprodukte und Gemüse, generell als förderlich für ein diverses, gut ausbalanciertes Mikrobiom. Was im Fernen Osten und in Asien fermentierte Soja-Produkte, Miso-Paste, Tempeh und Kombucha-Getränke leisten, können in westlichen Ländern Joghurts aus Schafs- oder Ziegenmilch und Kefir-Produkte sowie fermentierte Käse wie Mozzarella oder Gruyère bewerkstelligen. Schwören die Hundertjährigen auf der japanischen Insel Okinawa auf fermentierte Bittergurken als Vitalitätselixir, können Gesundheitsbewusste in unseren Breiten auf sauer eingelegte Fassgurken zurückgreifen (erhältlich in Viktualiengeschäften und -märkten, nicht die Essiggurken in Dose oder Glas aus dem Supermarkt). Eine vegetarisch ausgerichtete Ernährungsweise mit hohem Ballaststoffgehalt liefert den gewünschten Bakterienstämmen reichlich Lieblingsnahrung und hält sie so bei der Stange, während unerwünschte Fäulniskeime, die gerne von Nahrungsmittelrückständen (zu viel Zucker, Fruktose, stärkereiche Nahrung, tierische Fette) leben, zurückgedrängt werden.
Probiotika als ideale Ergänzung
Parallel zu einer verbesserten Ernährungslage (vegetarisch ausgerichtet, Ballaststoff-reich) und einer gezielten Anreicherung fermentierter Lebensmittel kann die Elimination eindeutig pathogener Keime und die vermehrte Zufuhr günstiger Bakterienstämme (Laktobazillen, Bifidostämme) entscheidend zu einer nachhaltigen Verbesserung des Darmmilieus beitragen. Nach Darmspiegelungen, in Verbindung mit erforderlichen Antibiotika-Einnahmen und präventiv vor und während Auslandsreisen hat sich die gezielte hochdosierte Einnahme probiotischer Präparate als Schutz- und Präventivmaßnahme bewährt. Mikrobiom-kundige Ärzte werden bei nachgewiesener Darmdysbiose für ihre Patienten gezielte prä- und probiotische Maßnahmen veranlassen und diese in ein individuell ausgearbeitetes Behandlungskonzept integrieren.