Die Aussichten, bei massivem Übergewicht auf konventionellem Weg – also mit Ernährungsumstellung und mehr Bewegung – langfristig erfolgreich abzunehmen, liegen praktisch bei Null. Selbst mit einer der vielen verfügbaren Reduktionsdiäten und innovativen, aber teuren und nebenwirkungsreichen Stoffwechsel-Medikamenten sind die Chancen recht gering, auf Dauer genügend schädliche Pfunde abzuschmelzen, um die mit starkem Übergewicht verbundene Krankheitslast erfolgreich abzuwerfen. Umso erstaunlicher dafür, was die Adipositaschirurgie mit ihren ausgeklügelten Operationsverfahren heute zu leisten imstande ist und an Erfolgen vorweisen kann.
Noch vor wenigen Jahren kaum denkbar, werden heute schweres Übergewicht und dadurch hervorgerufene Erkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck, Herzinfarkt und Schlaganfall mit am effektivsten durch den Chirurgen (und nicht den Internisten) geheilt. Und so verwundert es angesichts der wachsenden Schar stark Übergewichtiger nicht, dass sich die Adipositaschirurgie mittlerweile zu einem medizinischen Eckpfeiler gemausert hat. Und natürlich auch zu einem wirtschaftlichen Erfolgsfaktor, der vielen chirurgischen Abteilungen das finanzielle Überleben sichert und so manche Spezialklinik in eine Goldgrube verwandelt hat.
Heilung durch chirurgische Neuorganisation von Magen und Darm
Für eine „bariatrische Operation“, heute als „Adipositaschirurgie“ bezeichneten Eingriff kommen überwiegend stark übergewichtige Patienten (Body-Mass-Index = BMI über 35 kg/m2) in Betracht, die bereits an Diabetes und Herzkreislauferkrankungen leiden oder hierfür absehbar ein sehr hohes Risiko tragen. Ob Magenballon, Schlauchmagen oder eine Kombination aus Magenverkleinerung und Dünndarmverkürzung, jedes der heute gängigen Operationsverfahren hat als Hauptziel, den Magen und Dünndarm zu verkleinern. So wird – chirurgisch-mechanisch – die Menge an tolerierter Nahrung reduziert, ein rascheres Sättigungsgefühl erzeugt und die Eingeweidefläche verknappt, über die Kalorien in den Körper gelangen können. Nicht nur für Chirurgen, sondern vor allem für Hormonspezialisten überraschend war die Erkenntnis, dass mit der operativen Neuorganisation von Magen und Dünndarm auch eine fundamentale Umstellung der dort agierenden Hormonsysteme verbunden ist, mit ganz erheblichen Effekten und Rückwirkungen zentraler Stoffwechselhormone (z.B. Insulin, Glukagon-like-Peptide, GHrelin) auf Leber, Muskulatur, Bauchspeicheldrüse und Fettzellen, aber auch auf die Appetit- und Sättigungszentren im Gehirn.
Gute Langzeitergebnisse, wenn nur die Nachsorge besser klappen würde
Nicht nur die kurzfristigen, sondern insbesondere die langfristigen Erfolge der Adipositaschirurgie sind – trotz beträchtlicher Kosten – schlichtweg überzeugend. Je nach Verfahren resultiert eine eindrucksvolle Abnahme des Gewichts um bis zu 50 % und ein Rückgang des BMI zwischen 10 und knapp 20 kg/m2! Sogar nach 20 Jahren ist immer noch eine Gewichtsabnahme um knapp 20 % zu erwarten. Noch bedeutsamer sind freilich die Rückgänge bei Morbidität und Mortalität: beispielsweise das komplette Verschwinden eines vorbestehenden Diabetes mellitus bei fast zwei Drittel aller operierten Patienten, und nachhaltige Verbesserungen der Stoffwechsellage in bis zu 90 % der Fälle. Zudem ein Rückgang um fast 20 % bei Gesamtmortalität, Herzinfarkten und Schlaganfällen. Angesichts solcher Erfolgsbilanzen mutet es fast beschämend an, dass Probleme und Defizite in der Nachsorge und engmaschigen Dauerbetreuung heute zu den Haupthindernissen der modernen Adipositaschirurgie zählen. Denn gerade beim Erkennen und Vermeiden typischer absehbarer Operationsfolgen wie dem Auftreten gravierender Vitamin- und Mikronährstoffmängel hapert es bedauerlicherweise am häufigsten.
Besonderer Bedarf an Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen
Ausgeprägte Mangelerscheinungen an Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen sind weniger nach Magenballon und Schlauchmagen zu erwarten, aber umso häufiger und gravierender nach kombinierten Eingriffen mit Verkürzung und Umleitung des Dünndarms. Relevante Defizite werden in neueren Studien mit bis zu 35 % bei Vitamin B12, 40 % bei Folsäure, 50-60 % bei Eisen, 20 % bei Thiamin (Vitamin B1), 30-40 % bei Magnesium, 80 % bei Vitamin D3 und 90 % bei Zink beobachtet. Nach aktueller Empfehlung sollten alle Patienten nach Adipositaschirurgie mit einem hochwertigen, höher dosierten Multivitaminpräparat (1-2 x täglich) versorgt werden, dass auch 2 mg Kupfer pro Tag zuführt.
Bei allen auch den Dünndarm verändernden Operationen ist zudem eine höher dosierte Substitution folgender Wirkstoffe erforderlich:
- Folsäure 600: Mikrogramm/Tag
- Eisen-Sulfat/Glukonat/Fumarat: 40-80 mg/Tag (bei Frauen mit Menstruation 100-200 mg/Tag)
- Kalzium: 1200-2000 mg/Tag
- 25-OH-Vitamin D3: 3000-5000 IE/Tag plus Vitamin K2 100-200 Mikrogramm/Tag
- Vitamin B12: 1000 Mikrogramm/Tag
- Vitamin A: 5000-10000 IU/Tag
- Vitamin E als natürliche Tocopherole und Tocotrienole: 2 Esslöffel Raps- oder Leinöl/Tag
- Selen: 200 Mikrogramm/Tag
- Zink: 15-30 mg/Tag
- Thiamin (Vitamin B1): 50-100 mg/Tag
- Magnesium-Zitrat: 300 mg/Tag
Der individuelle Substitutionsbedarf hängt von zahlreichen Faktoren wie dem gewählten Operationsverfahren, der erreichten Gewichtsabnahme, Begleiterkrankungen, Ausgangsbefunden, aktuellen Laborbefunden, Ernährungsauswahl und -qualität ab. Für engmaschige Laborkontrollen und deren Auswertung bzw. die erforderliche Dosisanpassung ist es deshalb ratsam, regelmäßigen Kontakt zum betreuenden Nachsorgezentrum bzw. zum Hausarzt zu halten. Trotz aller Freude über den erreichten Erfolg gilt es, den lebensverändernden Eingriff und seine langfristigen Konsequenzen auch nach Jahren und Jahrzehnten nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.